Erfahrungsbericht LTEP Frankreich 2016/17

“Ein Jahr im Ausland ist nicht ein Jahr in einem Leben, es ist ein Leben in einem Jahr.”

Ich hatte diesen Satz bereist von einigen ehemaligen Austauschschülern gehört, bevor ich mich für mein eigenes Auslandsjahr mit Rotary entschieden habe; doch hätte ich mir nie vorstellen können, wie sehr diese Worte nach einigen Monaten bereits auf meine Situation zutrafen. In diesem einen Jahr habe ich fast alle möglichen Gefühle und Momente eines Lebens durchlaufen: ich habe eine Familie gefunden, ich habe mich in das Land verliebt, ich habe Freundschaften geschlossen und beendet, wurde verletzt und getröstet, war am Boden zerstört und überglücklich.  An manchen Tagen vermisste ich mein “altes Leben” in Deutschland sehr, an anderen Tagen anderen Tagen fühlte ich mich so wohl, dass ich gar nicht mehr zurückwollte und mein Leben so wie es damals war, genauso weiterleben wollte. Das Leben als eine deutschen Austauschschülerin in Frankreich! (Letzteres überwiegte mit Abstand.)

Im August 2016 begann mein Auslandsjahr im wunderschönen Auray in der Bretagne, einer Halbinsel an der Westküste Frankreichs. 344 Tage, die das beste Jahr meines Lebens werden sollten. Zwar noch nicht, als ich mich Wasserfälle heulend am Flughafen von meiner Mutter verabschiedet habe, aber ab dem Moment an dem ich die anderen Austauschschüler meines französischen Distrikts traf.

Eine Woche nach unserer Ankunft hatten wir ein, von unserem Distrikt organisiertes, Sprachcamp. Dort hatten wir Zeit, uns besser kennen zu lernen, hatten Französischunterricht, machten eine Stadtbesichtigung und viele Fotos – das natürlich immer mit unseren Flaggen.

Über das Jahr verteilt hatten wir mehrere solcher von Rotary organisierten Wochenenden und Busreisen. Und bei jedem Treffen sind wir als Gruppe von Austauschschülern mehr und mehr zusammengewachsen. Wir waren Fremde, wurden Freunde, ein Distrikt…am Ende waren wir eine Familie. Eine große, bunte, multikulturelle, chaotische Familie.

Apropos Familie: Das Leben in einer neuen Familie, meiner Gastfamilie, in einem neuen fremden Land war anfangs nicht einfach. Kommunikationsprobleme, Verständnisschwierigkeiten, Kuturunterschiede… ich trat von einem Fettnäpfchen ins nächste. Die ersten paar Wochen fühlte ich mich wie ein Gast, eine Fremde, die bald wieder aus dem Leben der Einheimischen verschwinden würde. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich wirklich wohl fühlte, bis ich angekommen war. Ich hatte meinen Freundeskreis, dazu drei wundervolle Gastschwestern, zwei liebevolle Gasteltern und einen geregelten Alltag.

Ich war offiziell angekommen.

Mittwochs war unser Mädelstag. Da jede französische Schule mittwochs bereits um 12 Uhr Schluss macht, trafen vier andere Austauschschüler und ich uns beinahe jede Woche in der nächstgrößeren Stadt Vannes. In einem Coffeeshop, was nach ein paar Monaten doch ziemlich ins Geld ging, aber im Austausch penibel auf Geld zu achten ist nicht der beste Weg das beste Jahr seines Lebens zu haben! Wenn man schon diese großartige Chance des Schüleraustausches hat, dann sollte man sie auch wahrnehmen, denn wann wird man denn schon mal wieder die Chance haben jeden Mittwoch in einem schönen französischen Cafe ausklingen zu lassen!

Insgesamt kann ich sagen, dass, obwohl es nur 15 Stunden Autofahrt von meiner Gastfamilie zu mir nach Hause sind, vielerlei Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen gibt. Es sind die kleinen Dinge, wie die Essensgewohnheiten oder das Schulsystem. Gemüse wird von den meisten Familien in der Bretagne auf dem Wochenmarkt gekauft und fast alle Schüler haben Ferienjobs um sich das Studium selbst finanzieren zu können. Franzosen sind sehr gastfreundlich und von dem angeblichen Unmut gegenüber den Deutschen ist nicht im Ansatz zu spüren, im Gegenteil! Meine Freunde fanden es total ” chouette ” (super toll), dass ich aus Deutschland kam und die Großeltern aus meiner zweiten Gastfamilie wollten, dass ich sie bitte ausschließlich “grand-mère” und “grand-père” nenne. 

Würde man mich also jetzt fragen, ob ich dieses Leben erneut durchleben wollen würde – erneut ohne die Sprache sprechen zu können in eine fremde Kultur geworfen zu werden, in ein Fettnäpfchen nach dem anderen zu treten, ein Jahr lang getrennt zu sein von allem und jedem den man bisher kannte und liebte um Menschen aus der ganzen Welt kennen zu lernen, neue Freunde zu finden und stundenlang zu weinen wenn der Abschied von Familien und Freunden zu sehr schmerzt – würde man mich fragen, ob ich diese Erfahrungen noch einmal machen wollen würde, wäre meine Antwort ein eindeutiges JA!

Yvonne, LTEP Frankreich 2016/2017