Antonia Kuhn berichtet: Als deutsche Jugenddelegierte zur UN-Generalversammlung 

Um mich herum höre ich Stimmengewirr in verschiedenen Sprachen, Englisch, Portugiesisch, Französisch, und ein paar, die ich nicht zuordnen kann. Ich bin müde, halte mich an meinem Kaffee fest – es ist schon der vierte heute und wird wohl auch nicht der letzte sein, der Zeitverschiebung sei Dank. Trotzdem fühle ich mich hellwach, neugierig, aufgeregt. Neue Eindrücke prasseln auf mich ein, zu viele, um sie alle auf einmal verarbeiten zu können. Ich versuche, zu verstehen und zu lernen, und bin ein bisschen eingeschüchtert von diesem mir noch fremden Ort. Natürlich habe ich vorher viel gelesen, versucht, mich vorzubereiten, aber am Ende ist es doch ein Sprung ins kalte Wasser, den ich mir noch ein Jahr zuvor nicht hätte vorstellen können und auf den ich noch sehr lange stolz und mit vielen positiven Erinnerungen zurückschauen werde.

Was klingt wie eine Beschreibung eines Austauschjahres passt für mich genauso auch auf die insgesamt fünf Wochen, die ich 2018/2019 als eine von zwei deutschen Jugenddelegierten zur UN-Generalversammlung bei den Vereinten Nationen in New York verbringen durfte. 

Doch alles der Reihe nach.

Schon seit 2005 entsendet Deutschland jedes Jahr zwei Jugenddelegierte zur Sitzung des dritten Ausschusses der UN-Generalversammlung, die die Interessen und Perspektiven von jungen Menschen in Deutschland dort in den Verhandlungen vertreten sollen. Die Idee ist keine neue: bereits 1981 haben die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sich gegenseitig in einer Resolution dazu aufgefordert, junge Menschen in ihre nationalen Delegationen zu integrieren, um sicherzustellen, dass auch junge Interessen am Verhandlungstisch nicht fehlen. Diesem Aufruf folgen inzwischen jedes Jahr zwischen 30 und 40 Staaten. Wie die Jugenddelegierten ausgewählt werden, unterscheidet sich stark von Land zu Land – in Deutschland werden die Stellen jedes Jahr im Herbst von den beiden TrägerInnen des Programms, dem Deutschen Nationalkomitee für Internationale Jugendarbeit (DNK) sowie der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN), ausgeschrieben. Im Frühjahr wählen sie dann aus allen BewerberInnen zusammen mit dem Bundesministerium für Familie, Frauen Senioren und Jugend sowie dem Auswärtigen Amt zwei Jugenddelegierte aus – für das Jahr 2018 zu meiner großen Überraschung und Freude auch mich. 

Das Mandat als Jugenddelegierte zur UN-Generalversammlung dauert ein Jahr, und es ist vor allem eines: intensiv! Das Jahr besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Komponenten. Alles beginnt damit, dass die Jugenddelegierten Workshops mit jungen Menschen aus ganz Deutschland abhalten, um ein Gespür dafür zu bekommen, was “die Jugend” im Land bewegt. “Die Jugend” als homogene Gruppe gibt es ja ohnehin nicht, und so ist es sehr wichtig, die Diversität der verschiedenen Hintergründe und Perspektiven zu verstehen, um später bei den Vereinten Nationen überhaupt zu wissen, für wen man da eigentlich alles spricht. Lukas Schlapp, mein Jugenddelegiertenkollege, und ich haben deshalb fast 60 Veranstaltungen in ganz Deutschland organisiert und dabei jungen Menschen im Jugendarrest die gleiche Frage gestellt wie PfadfinderInnen, Mitgliedern der Jungen Union oder Schulklassen: was forderst du von den Vereinten Nationen?

Mit einem gewaltigen Excel-Sheet mit über 200 verschiedenen Forderungen zu insgesamt 16 Themen im Gepäck sind wir dann nach New York gereist, mit dem Ziel, möglichst viele dieser Forderungen in die Arbeit des dritten Ausschusses der Generalversammlung einzubringen. Die Arbeit in New York lässt sich damit sehr gut mit klassischem Lobbying vergleichen: Wir haben Gespräche mit RegierungsvertreterInnen und NGOs geführt, uns mit verschiedenen UN-Organisationen getroffen, Reden gehalten, an Resolutionsverhandlungen teilgenommen und dabei immer versucht, den Platz junger Menschen am Verhandlungstisch zu stärken.

Genau wie auch meine mittlerweile drei Auslandsjahre war das Jahr als Jugenddelegierte für mich ein “Jahr der ersten Male”: das erste Mal Gespräche mit VertreterInnen eines Ministeriums führen, das erste Mal einen Workshop auf einem Zeltplatz durchführen, das erste Mal den UN-Generalsekretär treffen, das erste Mal auf einer Podiumsdiskussion die Interessen “der Jugend” vertreten – und das erste Mal eine Rede vor den Vereinten Nationen halten. 

Dabei konnte ich glücklicherweise auf Erfahrungen zurückgreifen, die ich in meinem Jahresaustausch mit Rotary in Finnland 2010/2011 und in meiner Zeit als Rotex im Distrikt 1950 gemacht habe. Aus meinem Jahr in Finnland habe ich vor allem gelernt, dass Offenheit sich immer auszahlt und dass ein Lächeln nie fehl am Platz ist – und genauso habe ich es auch wieder bei den Vereinten Nationen erlebt. Gleichzeitig waren es auch meine Auslandserfahrungen, die mich politisiert haben und mir gezeigt haben, wie unterschiedlich verschiedene Perspektiven auf ein und dieselbe Situation sein können, abhängig davon, wie man selbst sozialisiert ist – und wie wichtig es deshalb ist, so viele Perspektiven wie möglich in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, egal ob auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. Als Präsidentin von Rotex im Distrikt 1950 habe ich gelernt, was Interessenvertretung bedeutet, denn manchmal ist es genau das, was Rotex macht: die Interessen der AustauschschülerInnen gegenüber Rotary vertreten und als Bindeglied fungieren zwischen zwei manchmal ganz schön gegensätzlich wirkenden Welten. 

Die Dinge, die ich aus beidem – aus meinem Auslandsjahr und aus meinem Jahr als Jugenddelegierte zur UN-Generalversammlung – mitnehme, sind dementsprechend auch sehr ähnliche: etwas Neues zu probieren lohnt sich immer, Kaffee ist dein Freund und am Ende wird überall nur mit Wasser gekocht.

Zurück in New York. Heute ist der große Tag – unsere Rede steht an. Gemeinsam werden Lukas und ich die wertvollen fünf Minuten Redezeit, die Deutschland in der Sitzung dieses Ausschusses zustehen, für uns allein haben, und versuchen, die Aufmerksamkeit der Delegierten für uns zu gewinnen. Fünf Minuten, die wir nutzen wollen, um zu zeigen, dass junge Menschen so viel mehr sind als die Summe der über sie existierenden Stereotype. Ich trinke meinen Kaffee aus, werfe einen letzten Blick auf die Rede, und betrete den Sitzungssaal – ein bisschen nervös, aber mit einem Lächeln im Gesicht.